Kulinarik & Erinnerung
In diesem sehr persönlichen Text starte ich einen Auftakt für ein wiederkehrendes Format in einem halbjährlich in print erscheinendem Magazin. Es geht um meine kulinarischen Erinnerungen aus einem Bergdorf in der Schweiz.
Wenn ich an Braunwald denke, kommen mir meine ersten Fahrversuche auf den Ski in den Sinn, aber auch Wanderungen zu den kleinen Fröschen am Oberblegisee, Schreibwochen, Bücherkästen und vor allem gutes Essen. Dies liegt sicher auch daran, dass in unserer Familie gutes Essen zelebriert wird, dennoch ändert sich das Repertoire, wenn ich meine Eltern hier im Ferienhaus besuche im Vergleich zum Besuch in der Stadt. Honigleckerli werden in den Earl Grey Tee getunkt, Magäträs auf den Morgenkaffee gestreut und ein Stück vom ‘Chrüterchäs, weisch din Lieblings vo de Rebecca’ liegt sicher auch im Kühlschrank. Was passiert, wenn ich über Braunwald und Essen nachdenke? Für diese Ausgabe entstanden so kulinarische Erinnerungen, welche in zukünftigen Ausgaben zu ‘Kulinarischen Notizen aus der Region’ erweitert werden.
In den letzten Jahren habe ich Braunwald als Home Office Ort zu schätzen gelernt. In den ruhigen Stunden der Nebensaison fliessen die Worte auf das Papier und ich fühle mich von der Bergwelt umarmt. Immer mit dabei ein Buch, mit welchem ich auf der Terrasse oder neben dem Cheminée sitze und abwechselnd in der Bergwelt und wieder in den Zeilen versinke. Diesmal mit dabei ‘Small Fires’ von Rebecca May Johnson. Ihr Debütroman stellt die unzähligen Repetitionen eines Pasta Pomodoro Rezeptes in den Dialog mit einer zeitgenössischen Neuverfassung von Odyssee und Penelopes iterativen (Ent)webungen. Dabei wird das Kochen des Rezeptes mit den Strängen der Schürze, Gesellschaftlichen Konventionen und Beziehungen verflochten; bei mir sind es die Besuche in Braunwald mit Lebensmitteln, deren Geschichten, Menschen und Erinnerungen.
Braunwald bringt mir Geschmäcker und Geschmäcker bringen mich nach Braunwald. Die Heidelbeeren sind reif, ich komme für ein Wochenende in die Berge. Das repetitive Pflücken erdet mich, bringt mich zurück ins hier und jetzt, weg von meinem Computer. Wenn ich die Treppe hochkomme, strömt mir der bekannte Duft nach Wärme, Holz und frischem Gebäck entgegen. Es erinnert mich an die wohlige Stimmung und Geborgenheit, die einem nur Küchen geben können, wie dies so wundervoll und tröstend von Banana Yoshimoto im Roman ‘Küche’ beschrieben wird. Kommen dann alle unter der Anleitung meiner Mutter in der Küche zusammen, weben sich spezifische neue Duftstränge in die Erinnerung; erzählen und kreieren individuelle Momente im Jetzt. Nach dem Abendessen verlassen mein Vater und ich nochmals die Wärme. Ziel ist der Kühlschrank der Braunwaldalp. In der Dämmerung haben wir intensive Gespräche, die ich sehr schätze.
Und dann ist da natürlich noch der ‘Tante Erika Laden’. Etwas grösser als mein erstes WG-Zimmer und ebenso gefüllt mit Erwartungen und Leben. Man bekommt alles, ja sogar meine geliebte Hafermilch muss ich mittlerweile nicht mehr den Berg hochtragen. In der letzten Ausgabe konnte man über die neuen Betreiberinnen lesen. Während dieser Ort die Generationen überdauert, hat der Vierteiler vom Bäcker Gut nur in meinen Erinnerungen überlebt. Und während ich ihm nachtrauere, erwecke ich meinen Sauerteigstarter wieder aus dem Schlaf und nutze die Zeit zwischen den Zeilen, um Lebensmittel zu spüren. Die Zutaten in der Rössler-Teigschüssel, Kneten, Warten, Falten, Warten, Backen, Riechen. Bestrichen mit Heidelbeerkonfi, gefertigt aus wilden Heidelbeeren und Magäträs. Anders als bei Rebecca May Johnson müssen sie nicht bis zum Ende des Textes auf das lang ersehnte Pasta Rezept hoffen; ich überlasse die Heidelbeeren ganz ihrer Kreativität in der Küche.
Essen und Braunwald sind für mich auf unzählige Arten verwoben, nicht mehr auseinanderzuhalten, verstrickt zu einem Ganzen. Einige der beschriebenen Erinnerungen sind bis heute feste Bestandteile meiner Braunwaldbesuche, andere verschwanden im Laufe der Zeit, haben Raum für Neues geschaffen – die Erinnerungen bleiben. Wer steht hinter diesen Erinnerungen im hier und jetzt? Wie sind unsere Leben verflochten? Diesen Fragen möchte ich in folgenden Ausgaben des VAL-Info Magazins unter der Rubrik ‘Kulinarische Notizen aus der Region’ nachgehen. Dabei werde ich unterschiedlichen Themen rund um Lebensmittel in Braunwald entdecken und porträtieren. Kennen sie lokale Aspekte rund um Lebensmittel im Spannungsfeld zwischen Tradition und dem jetzt, einfach und echt? Dann schreiben sie mir diese, ich freue mich von Ihnen zu hören.